[D]Bilderschau mit dem Thema „Leselust“ in der Frankfurter Schirn
[H]Wenn Wissen Macht ist
[F][T][A]Von Werner Jacob
[V]Literatur und Malerei – eine Facette der jeweils wechselseitigen Beschäftigung miteinander blättert jetzt unter dem literarisch parlierenden Titel „Leselust“ die Frankfurter Schirn in einer Bilderschau zum Thema Lesen und Schreiben in der Malerei auf.
[G]Mit 87 Exponaten aus Flandern und den Niederlanden des „Goldenen Zeitalters“ im 17.#VJahrhundert, ist die Veranstaltung zugleich eine Verbeugung vor der Buchmesse, die diese geographische Region zum diesjährigen Schwerpunkt erwählt hat.
Wenn Wissen Macht ist, macht es Sinn, sich mit seinen Insignien zu schmücken. Das galt besonders im staatstragenden, bildungsbeflissenen calvinistischen Bürgertum Hollands. Wer etwas auf sich hielt, wer beeindrucken wollte, ließ sich genauso wie diejenigen, die wirklich in ihrem Alltag vertrauten Umgang mit Schriftlichem hatten, in entsprechenden Kontexten darstellen, oder umgab sich zu Hause, wie im Kontor mit Bilderthemen, in denen Briefe, Bücher, Schreibutensilien wesentliche Kompositionselemente waren.
Wissen kommt aus dem Lesen, vorzüglich dem von Büchern. Und am Anfang war das Wort, dingfest gemacht im Buch der Bücher. Die Bibel, zusammen mit ihren Verkündern und Exegeten, den Evangelisten und dem heiligen Hieronymus bildet denn auch den Auftakt zum Rundgang durch die Leselust.
Bald emanzipieren sich die Bilder vom religiösen Gängelband, und nun werden Doctores, Kaufleute, Bürgersfrauen und Liebende als literat geadelt, Bildung ist Ausweis von Größe, ist Ornament der Bürgerlichkeit, aber auch Mittel der Erkenntnis, des Fortschritts, der Kontemplation.
„Niederländische Malerei von Rembrandt bis Vermeer“ – der Untertitel ist mehr Namedropping als chronologischer Rahmen, gebührte der Altersvorsitz doch eher dem 1582 geborenen Frans Hals, der mit seinem „Geschichtsschreiber Pieter Christiaansz de Bor“ in der Abteilung des bürgerlichen Bildnis’ den gelehrten Gegenpol markiert zu Bartholomäus van der Helst, dessen „Frau am Fenster“ das Büchlein nur in die Hand bekam, um die perspektivische Raumwirkung auf die Spitze zu treiben.
Rembrandt setzt mit seiner schulemachenden „Lesenden Alten“ aus Amsterdam ein Glanzlicht im Genre der gestaltgewordenen Idealisierung von Tugenden oder Eigenschaften, dem historischen Porträt. Und sein Co-Lockvogel Johannes Vermeer beleuchtet mit dem gelben Gewand seines „Schreibenden Mädchens“ einen aparten Kontrapunkt zu Gerard ter Borch, dem Meister des Sujets der Briefschreiber und -leser: Beide lassen den Betrachter im Ungewissen über die Briefbotschaft, indes sind die Akteure in den geschlossenen Bildwelten ter Borchs allein mit sich beschäftigt, während Vermeers Schreiberin mit keckem Blickkontakt den Betrachter zu fragen scheint, willst du raten, was ich schreibe?
Die Kunst als Spiegel der Wirklichkeit – in den Trompe-L’Oeuils, den Augentäuschern oder Quodlibets, versammeln die Maler auf akribisch gemalten Merktafeln oder ähnlichem scheinbar wahllos Briefe, Merkzettel, Krimskrams aus dem Alltag. Teils Vexierspiel, aus dort Lesbarem Lebensdaten, meist des Künstlers, verschlüsselt darzubieten, teils dem Auge vorzuspiegeln, das sei nicht gemalt, sondern Realität.
Ein Glanzstück der Gattung, Cornelius Norbertus Gijsbrechts Wandtaschen, die täuschend echt zwei an der Wand hängende Stoffbeutel imitieren; nur hineinzugreifen braucht es, den „Almanach aus dem Jahr eins des Herrn Jesu Christi“ in der Hand zu halten.
Die Wirklichkeit des barocken Menschen aber war stets begleitet von der Mahnung an die Vergänglichkeit, für die besonders die Gattung der Vanitas-Darstellungen zuständig war. Mal drastisch, wie bei Jan Adriaensz. Van Attevelt, wo ein Knabe in einem Laboratorium liest und experimentiert – eines der Bücher freilich hat sich der Schädel von Gevatter Tod zur Ruhestätte erkoren. Mal dezenter, wenn den Gelehrten am Studiertisch bei Jan Steen eine abgelaufene Sanduhr und, versteckt im Dunkel, der Knochenmann an das Ende erinnern.
Eine augenzwinkernde Paraphrase zum Ausstellungsthema malte Joseph de Bray im „Lob des Herings“, einem Stilleben mit Bier, Brot, Zwiebeln und aufgeschnittenem Fisch, das mit einem teilweise lesbaren Gedicht in derber Sprache dem Pökelhering als nahrhafter Armenkost einen Hymnus singt, und zugleich ein weiteres bekanntes Gedicht seiner Zeit illustriert, die Geschichte nämlich, daß Cupido seine neue Heimat in Holland fand, dem „Lust-Hof von Europa“, wo man auf Rosen gebettet, Wein und Weib zu genießen weiß – den ewigen Wettstreit zwischen Literatur und Malerei – Joseph de Bray hat ihn für sich entschieden, indem er Literarisches mit malerischen Mitteln adelt.
Die Ausstellung ist bis zum 2. Januar zu sehen; geöffnet montags 14 bis 18 Uhr, dienstags bis freitags 10 bis 22 Uhr, am Wochenende 10 bis 19 Uhr.